Lebensgeschichte von Mahadsami Mamsiddinov

Dorf Revomutk, 1‘890 m.ü.M.

 

Meine Eltern waren beide aus dem Dorf Revomutk. Mein Vater war Bauer, meine Mutter half ebenfalls in der Landwirtschaft mit. Ich wurde im Jahre 1924 geboren. Ich hatte drei Brüder und eine Schwester. Alle Geschwister sind bereits verstorben. Einer meiner Brüder wurde exekutiert vor dem zweiten Weltkrieg mit einem Schuss direkt ins Herz. Mein zweiter Bruder arbeitete als Elektriker in Neu-Matcha an einer Hochspannungs-leitung und starb bei einem Unfall durch einen Stromschlag. Mein dritter Bruder starb vor nicht langer Zeit nach langer Krankheit. Auch meine Schwester verstarb vor nicht langem. Sie hatte vier Kinder auf die Welt gebracht, zwei Jungen und zwei Mädchen.

 

Ich besuchte einige Jahre die sowjetische Schule in Revomutk und nicht die „alte“ islamische Schule, aber bereits während der Schulzeit begann ich mit körperlicher Arbeit. Noch ein Kind wurde ich zu schwerster körperlicher Arbeit gezwungen: siebenmal täglich mussten wir für das Ausebnen von Landwirtschaftsland benötigten Lehm für die neu gegründeten staatlichen Kolchosen von einem entfernten Ort heranschleppen. Den Bauern wurde damals aus der eigenen Produktion nichts für sich selbst gewährt. Weizen, Fleisch, Tierfette, alles musste abgegeben werden, und die Leute litten schweren Hunger. Meine Mutter gab mir einmal täglich eine Piola voll in heissem Wasser aufgebrühten Weizen. Das war meine einzige Nahrung und Stärkung. Während der Kriegszeit mussten alle Landwirtschaftsprodukte dem Staat abgeliefert werden. Um uns am Leben zu halten, sammelten wir Roh, eine wilde Wurzel, zusammen mit deren oberen Blätter. Diese kochten und assen wir. Auf der Schattenseite des Matcha-Tals waren die Wurzeln bitter und auf der Sonnenseite etwas süsser und deshalb bekömmlicher. Die Korn- und Landwirtschaftsspeicher waren zur gleichen Zeit prall gefüllt, aber die lokale Bevölkerung sah nichts davon. Auf einmal waren die Speicher leer, und niemand wusste, wohin all die Nahrungsmittel gelangt waren.

 

Nach dem Krieg begann eine Periode der Zwangsumsiedlung der örtlichen Bevölkerung aus Gorno Matcha nach Neu-Matcha. In Revomutk verblieben nur noch drei Haushalte. In Neu-Matcha wurden wir einfach auf leeres Land gesetzt und mussten dort mit dessen Bearbeitung für die Baumwoll-Produktion beginnen. Das Klima war heiss, es gab kein Trinkwasser, viele Stechmücken, und daraus resultierten verschiedene Krankheiten. Das schlimmste war für mich die Bodenfeuchtigkeit. Die Erde war so feucht, dass sogar die Tiere darin einsanken. Wenn man einen Holzbalken auf den Boden legte, wurde er innert kurzer Zeit morsch. Nach sieben Jahren kam ich deshalb aus eigenem Antrieb nach Gorno Matcha zurück.

 

Der zweite Weltkrieg war eine schwierige Zeit. Es kamen Leute zu Fuss oder mit dem Esel über den Schachristan-Pass, um Kleider gegen „Bokila“ einzutauschen. Ich ging in dieser Zeit selbst auch häufig über den Pass. Dies führte zu Problemen mit den Beinen und später auch mit den Nieren. Ich musste operiert werden im Spital in Khujand. Dort teilte ich ein Zimmer mit einem Mann aus Dehavz. Wir wurden Freunde und beschlossen, nach der Genesung gemeinsam nach Gorno Matcha zurückzukehren. Aber mein Sohn organisierte ein Taxi und holte mich alleine ab. Dies machte der Freund mir später zum Vorwurf. „Warum hast du dein Versprechen nicht eingehalten und auf mich gewartet?“ Meine Tochter wohnt in Neu-Matcha; wir haben sie dorthin verheiratet. Mein Sohn brachte mich also zuerst zu meiner Tochter in Neu-Matcha und danach nach Revomutk zurück.

 

Aber zurück zur Nieren-Operation. Die Wunde wurde im Spital genäht und danach mit einem Pflaster abgedeckt. Bei der täglichen Kontrolle wurde das Pflaster vom zuständigen Arzt nicht sanft und langsam, sondern ruckartig und schmerzhaft entfernt. Ein anderer Patient schrie bei diesen Kontrollen! Ich fragte ihn warum. „Warte ab, bis du an der Reihe bist!“, antwortete er. Der Doktor kam also und riss mein Pflaster ab, dass es schmerzte. Aber ich biss die Zähne zusammen und blieb ruhig. Der andere Patient, der eigens in meinem Zimmer gewartet hatte, um meine Reaktion zu sehen, verliess darauf den Raum.

 

Eine Kolchose in Neu-Matcha produzierte Baumwolle hüfthoch; meine Kolchose hingegen mannshoch! Es stellte sich heraus, dass die anderen Kolchosen mit dem für Dünger zur Verfügung gestellten Geld Wodka kauften und es versauften.


Wie gesagt gefiel mir die Feuchtigkeit in Neu-Matcha nicht. Aber den Menschen wurde das nötige zum Leben gegeben, und das war in Ordnung. Auch hier in Revomutk ist das Leben gut. Unter Stalin war es sehr schwer. Unter Malenkov wurde es besser. Unter Breschnew war es auch gut.

 

Unsere Vorfahren hatten an den steilen Berghängen in mühseliger Arbeit Bewässerungskanäle angelegt. Wo die Abhänge so steil waren, dass kein Kanal mehr angelegt werden konnte, wurde ein Bewässerungs-Tunnel gegraben. So wurde das Land am linken Zarafschan-Ufer bewässert und Weizen und Gerste angebaut. Aber heute ist dieser Kanal verfallen, und das Land wird heute nur noch ungenügend bewässert aus dem Bach des Seitentals „Tagobi Revomutk“. 

  

Wir bauten Getreide an auf einem hochgelegenen, weit vom Dorf entfernten Stück Land. Auf dem Weg hoch mussten wir zweimal ausruhen, so weit entfernt war es. Weil es so weit war, konnten wir aber nur das Korn runterbringen, in Säcken über den Schultern; das Stroh mussten wir dortlassen, obwohl wir es auch gebraucht hätten.

 

Nach meiner Rückkehr aus Neu-Matcha nach Gorno Matcha befasste ich mich mit Tierzucht. Es gab eine grosse Tier-Sowchose. Ich war Hirte und schaute gut zu den Tieren. Für meine gute Arbeit wurde ich regelmässig mit einer Prämie belohnt, und ich hatte ein gutes Einkommen. Aber während des Bürgerkrieges kamen Leute aus Kartegen, bewaffnete Oppositionelle, im Winter, und stahlen sämtliche Tiere. Wir Hirten hatten nur Stöcke und waren wehrlos.